Autokorretur im Hirn?
Strategien für besseres Korrekturlesen
Warum wir Rechtschreibfehler in selbstgeschriebenen Texten oft übersehen – und was wir für effektiveres Korrekturlesen tun können.
Ein Rechtschreibfehler im Text wirkt wie die Fliege in der Suppe: Eigentlich hat er keinen Einfluss auf den Inhalt, den Appetit verdirbt er dem Konsumenten erst einmal aber trotzdem. Unter fehlerhafter Grammatik und unschönen Tippfehlern leidet der Gesamteindruck eines Textes, unabhängig von seiner inhaltlichen Qualität. Sorgfältiges Korrekturlesen ist deshalb ein Muss. Doch gerade bei selbstgeschriebenen Texten fällt uns das häufig schwer. Wir übersehen Dinge, die anderen Lesenden auf den ersten Blick ins Auge springen. Warum ist das so?
Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert...
Der Text ist geschrieben und mit viel Liebe und Aufmerksamkeit mehrfach gelesen und korrigiert worden. Unmöglich, dass sich da jetzt noch ein Rechtschreibfehler drin versteckt. Also ab damit und das Ding schnell veröffentlichen. Wenige Minuten später klingelt das Telefon, und der nette Kollege weist peinlich berührt darauf hin, dass direkt auf der ersten Seite in einem Wort ein h fehlt. In der Überschrift.
Schamesröte und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten kämpfen um die Vorherrschaft. Ein Glückspilz, wer den Text „nur“ online veröffentlicht und den Patzer mit wenigen Klicks aus der Welt schaffen kann. Passiert so etwas bei einem Print-Produkt, muss unter Umständen die ganze Auflage eingestampft und neu produziert werden. Das kostet Zeit und jede Menge Geld.
Autokorrektur im Hirn, nützlich und energiesparend
Was beim Lesen unserer eigenen Texte im Hirn passiert, ist quasi eine Art Autokorrektur. Denn was wir lesen, ist immer eine Kombination aus Gesehenem und Erwartetem, schreibt Tom Stafford, Dozent für Psychologie und Kognitionswissenschaften an der Universität Sheffield. Da Lesen und Schreiben sehr schwierige und anstrengende Aufgaben sind, vereinfacht und automatisiert unser Gehirn Abläufe, um so Energie zu sparen -Stichwort „Kognitive Kompensationsprozesse“. So werden einige Buchstabenkombinationen automatisch zu Wörtern ergänzt, die zu der (erwarteten) Bedeutung des Textinhalts passen. Diese Erwartung ist bei Texten aus eigener Feder sehr hoch: Wir wissen, was wir geschrieben haben, bzw. was dort stehen sollte. Die gesehene Version steht in Konkurrenz zu der Version in unserem Kopf und zieht hier häufig den Kürzeren. Kleine Fehler werden glatt überlesen.
Bei Texten fremder Autor:innen haben wir eine wesentlich geringere Erwartungshaltung, was den Inhalt betrifft. Fehlerhafte Details fallen sofort ins Auge, weshalb der oben genannte nette Kollege auch beim ersten Blick sieht, was Ihnen bei zehnmaligem Korrekturlesen durchgegangen ist.
Befreien Sie Ihre Texte von Fehlern: 6 Strategien für effektives Korrekturlesen
1. Andere Leute lesen lassen
Die effektivste Maßnahme, die Sie ergreifen können: Lesen Sie nicht selbst Korrektur, sondern lassen Sie Korrekturlesen. Je nach Medium kann das mal „nur“ der/die textsichere Arbeitskolleg:in sein. Besonders bei Printprodukten und sehr wertigen oder wichtigen Publikationen sollten Sie aber auf jeden Fall ein professionelles Korrektorat in Auftrag geben. Das spart im Ernstfall Zeit, Geld und Ärger.
2. Text verfremden
Falls Sie keine Möglichkeit haben, Ihren Text von einer anderen Person lesen zu lassen, kann es hilfreich sein, ihn optisch möglich stark zu „verfremden“, um Fehler besser auffindbar zu machen. Das können Sie zum Beispiel erreichen durch Veränderung der Schriftgröße, Schriftart, Textfarbe oder Hintergrundfarbe.
3. Text liegen lassen
Lassen Sie Ihren Text einige Zeit liegen, bevor Sie ihn Korrektur lesen: mindestens ein paar Stunde, besser noch über Nacht. So geben Sie Ihrem Hirn die Chance, einen Teil des Inhalts wieder zu vergessen, senken die Erwartung und erhöhen den Anteil des tatsächlich gelesenen Textes, wenn Sie ihn sich wieder vornehmen. Die Chance, Fehler zu entdecken, steigt, wenn Sie mit frischen Augen und wachem Hirn lesen.
4. Text ausdrucken
Ob und wie sich das Lesen von Bildschirmtexten vom Lesen gedruckter Texte unterscheidet, daran wird fleißig geforscht. Allerdings gibt es schon jetzt Studien, die zu dem Schluss kommen, dass am Bildschirm flüchtiger und weniger detailorientiert gelesen wird. Deshalb: Längere Texte ausdrucken und dann lesen – am besten Zeile für Zeile mithilfe eines Lineals.
5. Text maschinell vorlesen lassen
Kopieren Sie Ihren Text in ein Tool mit Text-to-Speech Funktion wie z. B. Google Translate, und lassen Sie ihn sich dann vorlesen. So können Sie Buchstabendreher, fehlende Buchstaben und andere Tippfehler hören.
6. Text rückwärts lesen
Auch eine gute Methode, um unter Zeitdruck Tippfehler zu entdecken: Lesen Sie Ihren Text von hinten nach vorn. So werden semantische Zusammenhänge zwischen den Sätzen aufgelöst und Sie müssen sich wieder mehr auf die einzelnen Wörter konzentrieren.
Zu guter Letzt: Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie trotz aller Sorgfalt mal einen Tippfehler übersehen – Ihr Hirn versucht nur, effizient zu sein und Arbeit und Energie zu sparen. Und wenn diese Fehler anderen auffallen, freuen Sie sich einfach ein bisschen über die Tatsache, dass Ihre Texte gelesen werden. Denn darauf kommt es im Endeffekt doch an ;-).